Solveig Schirmer

„Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum
Abschied sein und Neubeginne.“
Hermann Hesse

Zum Andenken an unsere Tochter, Schwester und Freundin

Bruder und Schwester im Klimahaus Bremerhaven
Ein letztes Mal so zusammen: Mutter, Vater und Bruder an ihrer Magnolie in Thulendorf zu Ihrem Geburtstag im April 2023
Sulis Hund Marley

Trauerrede

gehalten von Jutta Schirmer (02.04.1942 – 26.06.2023) am 03.10.2018

Rainer Maria Rilke:
Todes-Erfahrung

Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das
nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund,
Bewunderung und Liebe oder Hass
dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund

tragischer Klage wunderlich entstellt.
Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen.
Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen,
spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.

Doch als du gingst, da brach in diese Bühne
ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt
durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne,
wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.

Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes
hersagend und Gebärden dann und wann
aufhebend; aber dein von uns entferntes,
aus unserm Stück entrücktes Dasein kann

uns manchmal überkommen, wie ein Wissen
von jener Wirklichkeit sich niedersenkend,
so dass wir eine Weile hingerissen
das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.

Hermann Hesse sagte:
„Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum
Abschied sein und Neubeginne.“

Wir haben uns hier an der Thulendorfer Mühle versammelt, um dieser Notwendigkeit zu genügen, Abschied zu nehmen von Solveig Andrea Schirmer, und ihrem wunderbaren Neubeginn zu feiern; denn sie wird nie verloren gehen, solange wir sie im Herzen tragen.

Ich danke allen, die heute gekommen sind, weil sie sich dankbar erinnern wollen an die liebevollsten Gefühle und an die unbeschreibliche Trauer am Totenbett, an treues Handeln, getragen von tiefer Verbundenheit in Freundschaft, an viele gemeinsame Erlebnisse in anregender, Vertrauen festigender Nachbarschaft, an gemeinsame schöpferische Arbeit, jeder einzelne an ganz persönliche Momente –
Nur die Eltern sehen noch das Baby Solveig: lieb, bald durchschlafend, verschmust. Das kleine Kind lehrte den großen Bruder, daß Berührung gut tut und Freude macht.
Im Kindergartenalter ein krauser, blonder Lockenkopf – immer in Bewegung. Sie hüpfte stets an der Hand statt zu laufen. Da war – aus einem russischen Märchen – ein Wackeltopf ihr Vorbild. Und diese Bewegungsfreude lebte sie auch mit ihrem Bruder aus und verkündete einmal der besorgten und behütenden Nachbarin auch um 23 Uhr noch: „Toben macht Spaß!“

Mit 5 Jahren tanzte unser Sonnenstrahl (Solveig heißt: Weg der Sonne) im Kinderballett des Greifswalder Theaters und stand bald auf der Bühne, z.B. als Zirkuspferdchen. Mit Anmut und Grazie nahm sie ihre Mitmenschen für sich ein.
Das Kind war ein kleiner, sehr kommunikativer Mensch, sprach früh sehr lange Sätze und fühlte sich wohl im Kreise heiterer Freunde. Schon im Kindergarten begrüßte sie die Gruppe mit einem fröhlichen „Morgen Leute, ich bin da!“ und vergaß dabei, sich von der Oma, die sie sicher hergebracht hatte, zu verabschieden. Freunde gaben ihr in schwierigen Lebenssituationen fortan immer Halt: ihre Greifswalder Schulklasse, ihre Seminargruppe im Studium und vor allem in den letzten Jahren ihr Potsdamer Kreis und einige treue Mitstreiter in ihrer Firma. Ohne sie hätten wir Solveig schon einige Jahre früher verloren. Die Blätter des Magnolienbaumes werden „Danke“ rauschen.

Als die grausame Krankheit ihr Leben mit Schmerz ausfüllt, war es nur auszuhalten durch menschliche Schutzengel. Sie hießen Karen, Bianca oder die Giraffe oder Frau Nikolitsch, Niko, Markus und Hagen, der vor allem in den schlimmsten Tagen ihr selbstlos ganz nahe war. Und sie brauchte und hatte gute Ärzte an ihrer Seite. Dr. Kalden, Dr. Rau und das gesamte Personal des Neuruppiner Hospizes seien besonders erwähnt und bedankt.
Auch von ihren Eltern wurde sie bis zuletzt herzlich geliebt und unterstützt, aber jenseits der Kindheit sind die Möglichkeiten von Vater und Mutter begrenzt. Wenn ein Vögelchen zum Vogel wird, flügge das Nest verläßt, will es die Kraft eigener Schwingen testen. Es sucht neue Lebenskreise und Entfernungen sind vorprogrammiert. Man weiß nicht mehr alles von einander, aber immer doch, daß die Liebe bleibt und weiterhin bindet.
Prägend für Solveigs Leben war ihre Arbeit, getragen von Fleiß, Kreativität und Einfallreichtum – und erschwert durch Loslassen-Müssen.
Mit viel Mut und nie versiegendem Optimismus gelang es ihr immer wieder, ganz neu anzufangen.

Da war zunächst der mit großem Einsatz verfolgte Traum vom klassischen Bühnentanz. Jede Bewegung war beseelt, aber ihr Körper setzte durch seine Anatomie Grenzen, schmerzhafte Grenzen. Sie war erst 14 Jahre alt, als sie diese große Enttäuschung verkraften mußte.
Hier standen Schulfreunde zur Seite.
Es gab neue Ziele: Sie meisterte ihre Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete gewissenhaft. Die Patienten fühlten sich umsorgt. Sie lotete ihre Fähigkeiten aus und bildete sich weiter zur Fachkrankenschwester für Kardiologie und Intensivmedizin. Als Auszeichnung für ihren Einsatz durfte sie Herrn Professor Wedler zu einem Kongress internationaler Herzspezialisten begleiten.
Aber auch hier zeigte das Schicksal Grenzen. Schwester Solveig wog weniger als 50 kg, ihre Patienten auf der Männerstation manchmal das Dreifache. Sie zu betten, überforderte Solveigs Wirbelsäule schmerzhaft. Und auch ihre Seele litt in der Umgebung von Krankheit und Tod.

Wieder hieß es, lieb und vertraut Gewordenes aufzugeben und einen Neuanfang zu wagen. Trotz – ein starkes Gefühl – half ihr. Da hatte doch ein geliebter junger Arzt, nachdem er sein Examen geschafft und ihre Hilfe nun nicht mehr nötig hatte, gemeint, eine einfache Kranken-schwester sei nun nicht mehr gut genug für ihn und sie zu einem Hochschulstudium nicht klug genug. Der sollte sich geirrt haben!
Aber Hilfe kam in dieser Zeit von Hendrik, vom „Brüderchen“, wie sie ihn nannte. Der war inzwischen Architekturstudent und machte Mut: „Schwesterchen, Du kannst gut zeichnen, und Dein Kopf steckt voller Ideen. Ich baue Häuser, gestalte Du sie aus!“ Das traf genau ihren Hang zum Schöpferischen und sie erkämpfte sich gegen den Widerstand eines besserwisserischen Wessi-Professors durch eine überzeugende Aufnahmeprüfung einen Studienplatz an der Kunst- Fachschule in Heiligendamm. Solveig wurde eine brillante Innenarchitektin, die schon in der Studienzeit durch ihren Ideenreichtum auffiel. Mutig bewarb sie sich gleich nach dem Examen – ohne Berufserfahrung – im namhaften Büro der Annemarie Jagdfeld in der Berliner Friedrichstraße, wurde auf Probe angenommen und arbeitete sich ein, sammelte Erfahrungen – nicht nur positive. Der Gewinn eines Bäderwettbewerbes weckte Neider. Sogar Entwürfe wurden gestohlen. In dieser Atmosphäre litt das Schöpfertum. So übersprang sie noch einmal mutig ihren Schatten und gründete ihre eigene Firma „Interiors Berlin“, mit der sie nach Potsdam umzog. In Deutschland / Heiligendamm und in der Schweiz / Lousanne stattete sie große Hotels aus, auch Privatvillen. Eine wichtige Aufgabe war ein bedeutendes Museum in Bremerhaven, das Klima-Haus, an dem sie mit dem Architektenbrüderchen zusammen arbeitete.
Es gab auch einen erfolgreichen Seitensprung in die Filmindustrie, davon zeugt u.a. der Kurzfilm „Hotel Surprise“ unter der Regie von Rainer Guldener. Hier spielt sie auch die weibliche Hauptrolle.

Auch ihrem Büro – Ort und Quelle sprudelnder Ideen – mußte Solveig und das tat doppelt weh – „Adé“ sagen. Nach kapitalistischer Manier wurden Rechnungen nicht bezahlt. Die fortschreitende Krankheit, immer wieder Krankenhausaufenthalte hinderten sie, ihr Recht durchzusetzen.
Wieviel Schönes, Überraschendes ist der deutschen Innenarchitektur hier verloren gegangen.
Verloren gegangen ist dieser Welt auch eine mütterliche Frau. Das Schicksal hat es ihr nicht erlaubt, einem eigenen Kind das Leben zu schenken. Das war ihr größter Schmerz, der sie auch körperlich krank machte. Daß sie eine Mütterliche war, eine beratende, liebende, mütterliche Freundin, können ihr Patenkind Clara, dem sie ganz eng verbunden war, und die Töchter ihrer besten Freunde – Hagen und Andreas – bezeugen. Wenn wir glauben wollen, daß es so etwas gibt, so wird Solveig sie alle fernerhin als Schutzengel behüten. Ebenso ihre Neffen Erik und Arne. Sie alle mögen ihr lebenslang ein ehrendes Andenken bewahren!
Ganz privat, dem engeren Kreis bewußt: Solveigs ungebrochene Lebenslust und Lebensfreude, ihr ständiges Bemühen, um sich (herum) ein Flair von Harmonie und Freude zu verbreiten.
Die Welt mit großen, glänzenden, liebevollen Augen staunend betrachtend, war es ihr wichtig, Geschenke zu machen, Blumen zu pflanzen, Tiere zu pflegen. Allen Mitgeschöpfen begegnete sie mit großer Empathie. Sie liebte alles Schöne.
Geld liebte sie nicht sonderlich. Entgegen der Mode unserer Zeit, die besitzen will, gab sie das wenige, das sie hatte, gern und prompt für ein Fest mit Freunden aus. Das mag unvernünftig gewesen sein. Aber war das nicht der menschlichste, ein beinahe weiser Umgang mit Papierscheinen?
Schimpft sie nicht aus! Erinnert Euch mit einem Lächeln der kleinen Geschenke und der fröhlichen Stunden.
Solveigs Persönlichkeit wurde ganz wesentlich geprägt durch ihre Sehnsucht nach der großen Liebe. Solveig war – wie ihre berühmte literarische Namensschwester aus Ibsens „Peer Gynt“ – sehr befähigt zu Hingabe und Liebe – „Vielleicht geht der Winter, und der Frühling folgt nach, und der Sommer dazu, und das ganze Jahr – aber einst wirst Du kommen, das, weiß ich, ist wahr, und ich werde warten, wie ich Dir´s versprach …“

– Gesang, Solveigs Lied aus Peer Gynt –

Sie begleitete kluge und interessante Männer, kluge und interessante Männerpersönlichkeiten begehrten sie und schmückten sich gern mit der schönen Frau – es gab sehr glückliche und sehr enttäuschende Zeiten.
Sehr jung hat sie, wohl nicht immer wahre von unlauteren Versprechungen unterscheiden können, schnell vertraut. In reiferen Jahren erkannte sie schmerzhaft das „Menetekel uphar sin“ (gewogen und zu leicht befunden) und mußte Enttäuschungen ertragen.
Ein ambivalentes Geschehen um die Liebe, tief erlebt.

Wir, die wir um sie trauern, wollen dem Schicksal aber dankbar sein für ein Stück Gerechtigkeit, gewährte Erfüllung, die der ehrlich suchenden Seele zuteil wurden: Schon den nahen Tod ahnend, durfte Solveig erkennen, daß sie liebte und geliebt wurde und sagte nach einem letzten Spaziergang mit Andreas zum Schwanenteich des Neuruppiner Klinikums zu ihrer Mutter: „Von all dem Männergewusel dieser Welt ist der liebste Mann an meiner Seite.“
Dieser Liebe möge ein Baum erblühen, hier im Garten der alten Mühle, für deren Restaurierung Solveig und Andreas gemeinsam gearbeitet haben – als alters-Ruhesitz geplant, als Ruhestätte für die Ewigkeit nun gebraucht – denn im Abendrot erlosch unser Sonnenstrahl.
Trotzig sagen wir: „Nicht für immer!“ Im Morgenrot mag der Baum erblühen, der aus Solveigs Asche wuchs – eine Magnolie. Das ist eine sehr altertümliche Pflanzengattung. Die ersten arten sind vor über 100 Millionen Jahren entstanden und damit Ahnen unserer Blütenpflanzen.
Solveig liebte blühende Magnolien. Es gibt viele Fotos, die sie vor „ihrer“ (Zitat) Magnolie im Park am Heiligen See zeigen, die letzten mit Andreas und Hundefreund Marley.
Begleiten wir Andreas nun zur Pflanzstätte, zum Neubeginn.
Auch der möge gelingen!

– Pflanzung, Klavierbegleitung durch ihren Vater –

Solveigs Leben

Bilder aus Sulis Leben – bereitgestellt durch Andreas Schmidt

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3 Szenen

bereitgestellt durch
Kuck Media Videoproduktionen
Berlin

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Hotel Surprise

bereitgestellt durch den
Produzenten und Regisseur
Rainer Guldener

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Architektur International
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* 25.04.1970
† 28.01.2018

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